Posts Tagged ‘Kommunalpolitik’

Münster: ein altes Kriegerdenkmal inmitten der Skulptur-Projekte 2017

Juni 26, 2017

Train-Denkmal

Kriegerdenkmäler, die an deutsche Gefallene des Ersten oder Zweiten Weltkrieges erinnern, haben in der Gegenwart keinen leichten Stand mehr: Die Toten, an die häufig namentlich erinnert wird, sind oft vergessen und linke Gruppierungen schänden die Denkmäler in ihrem Hass auf die Vorfahren mit Schmierereien. Historische Denkmäler lassen sich allgemein für die Nachwelt oft nur noch schwer erschließen, etwa wegen der altertümlichen Sprache, die sie verwenden. In Münsters Promenade steht noch das alte Train-Denkmal. Train (frz.) ist das alte Wort für die militärischen Nachschubtruppen. Das Denkmal wurde 1925 vom Traditionsverein des westfälischen Trainbataillons Nr. 7 errichtet und erinnert an die Gefallenen der Einheit im Ersten Weltkrieg. 1928 wurde seitlich noch Tafeln in den Boden eingelassen, die auch an zwei (!) Gefallene der Einheit im Kolonialkrieg 1904-1907 in Deutsch-Südwestafrika und einen (!) gefallenen Trainsoldaten bei der Niederschlagung des Boxeraufstands erinnern. Dies führte dazu, dass das Kriegerdenkmal zum Kolonialdenkmal umgedeutet wurde, obwohl es sonst keine kolonialen Bezüge enthält, und entsprechend seit den 1980er Jahren problematisiert wurde. Kam es in Südwest nicht zum Völkermord an den Herero und Nama?  Müsste es nicht mit Erklärtafeln versehen werden, die nicht an deutsche Opfer, sondern an die afrikanischen Opfer der Deutschen erinnern, oder sogar umgestaltet werden? Die Verwaltung der Stadt setzte lange

Lara Favaretto: Momentary Monument

Widerstand gegen solche Projekte entgegen und verwies darauf, dass das Train-Denkmal eine historische Quelle sei, die sich unverändert dem Urteil der Geschichte stellen müsse. Auch verwahrte sich die Bundesregierung noch bis 2015 gegen die Einordnung der Kriegsgreuel in Südwestafrika (heute Namibia) als Völkermord. Schon 2010 war aber ein Antrag der SPD in Münster erfolgreich, das Train-Denkmal mit einer erläuternden Hinweistafel zu versehen, die daran erinnert, dass „viele Hererofamilien in die Wüste gezwungen wurden, wo sie elend zu Grund gingen“. Das Wort „Völkermord“ wurde also vermieden. „Wir gedenken auch der zehntausenden Toten der unterdrückten Völker“, heißt es weiter. Das „auch“ hat ein Schmierfink, der der gefallenen deutschen Soldaten nicht mehr gedenken will,  mit Bedacht durchgestrichen und ein „heute“ darüber gesetzt.

Im Rahmen der laufenden Skulptur-Projekte 2017 setzte die Künstlerin Lara Favaretto ihr Kunstwerk „Momentary Monument – The Stone“ als Replik auf das Train-Denkmal am Ludgerikreisel. Es soll als eine Art Spardose für Menschen in Abschiebehaft verstanden werden, der Stein enthält einen entsprechenden Schlitz zum Einwerfen von Geld. Nach dem Ende der Skulptur-Projekte wird „The Stone“ jedoch wieder abgetragen, sodass dem Groll und den Schuldgefühlen(?) der Train-Denkmal-Gegner nicht dauerhaft entsprochen wird. Schon abgeräumt wurde die Kunst-Guerilla-Aktion „Proud America“ von Christian Nachtigäller, der zu Beginn der Skulptur-Projekte das Train-Denkmal mit einem Lattengerüst und einem Fass in den Nationalfarben der USA ergänzte, die offenbar nach Lesart des Künstlers die koloniale Tradition des Westens fortführen. Es bleibt offen, ob dem Train-Denkmal weitere „Umgestaltungen“ und „Ergänzungen“ drohen oder es seinen Frieden als vergessenes historisches Relikt wieder finden darf.

Weiterführende Links:

Eine vollständige Dokumentation des Kriegerdenkmals findet sich hier.

Wortwörtlich steht auf den Bodentafeln: „Es starben den Heldentod für Kaiser und Reich“. Dies erregt heute die Gemüter als Ausdruck übertriebener Heldenverehrung, bedeutet aber lediglich, sie sind „gefallen“ im Sinne von „im Kampf gestorben“.

Ein Beitrag für Radio Q hat 2015 die Kontroverse um das Train-Denkmal umfassend dargestellt.

Wiedersehen mit der FDP

März 5, 2016

Entfremdung von einer Partei: Ich habe beim Selbsttest im Wahl-O-Maten 2013 im Internet noch heute höchste Übereinstimmungswerte mit der FDP, die bei den Wahl-O-Maten für die Wahlen 2016  jedoch auf ein Mittelmaß herabgesunken sind. Ich habe wohl den Anschluss an den leichten Linksruck und die Diskussionen in dieser Partei verloren, bin seit 2013 raus dort, genauer gesagt bei den Julis, für die ich ohnedies langsam zu alt wurde, ausgetreten. Die FDP hat mittlerweile nicht umsonst den Zusatz „die Liberalen“ aus ihrem Parteiennamen gestrichen und einen quietschigen Rot-Ton in die Parteifarben aufgenommen. Auch laute Steuersenkungsforderungen hört man von dort nicht mehr, eigentlich hört man überhaupt nicht mehr viel von der FDP, die noch im medialen Wahrnehmungsloch steckt.

Heute gab es ein Wiedersehen mit der FDP. Was ist aus der Partei in Münster geworden? Auf dem Kreisparteitag der FDP Münster sah ich noch viele altbekannte Gesichter.  Jörg Berens, früher Wischinski, wurde für weitere zwei Jahre als Kreisvorsitzender bestätigt. Berens hatte keinen Gegenkandidaten, erhielt aber trotzdem ein Dutzend Gegenstimmen, was mit im Vorfeld geäußerter Unzufriedenheit mit seinem Führungsstil zu tun haben mag.

Auf dem Kreisparteitag selbst präsentierte sich die FDP jedoch rundum harmonisch, maßvoll liberal, vernunftbetont, selbstbewusst und kämpferisch, sowie aufgeweckt kritisch gegenüber den herrschenden Verhältnissen in der hochverschuldeten Stadt Münster und dem Land NRW, dabei weitestgehend im Rahmen der Political Correctness verbleibend.

Für Kriegsflüchtlinge fordert die FDP einen unbürokratischen zeitlich befristeten Aufenthaltstitel, mit der Option in Deutschland dauerhaft bleiben zu können, wenn sie den Anforderungen eines zu schaffenden Einwanderungsgesetzes genügen. Andernfalls müssten sie in ihre Heimatländer „zurückgeführt“ werden. Darüber hinaus sind neuartige Ansätze, die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen zu begrenzen, bei der FDP  nicht ersichtlich. Dabei erkennt die FDP lokal durchaus gefühlte Problemlagen sich abzeichnender Überforderung:

„Dabei erleben wir eine Stadtgesellschaft, die bereit ist, zu helfen, die aber zunehmend auch in Sorge darüber gerät, wie viele zu integrierende Menschen noch aufgenommen werden können. Zunehmend beschleicht Menschen auch diese Angst des ‚sich nicht mehr sicher fühlen‘(!) im öffentlichen Raum.“

Die FDP Münster reagiert darauf mit der Forderung nach Ausweitung des Angebots an Wohnraum, dem verstärkten Auftreten von Service- und Ordnungsdiensten zur Entlastung der Polizei und die zügige Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern.

Der Kreisparteitag der FDP in Münster hatte dabei in den Anträgen am Schluss eine  antireligiöse Note, die ich auch vom Laizismus der FDP von früher kannte: So wurde die Entfernung religiöser Symbole aus öffentlichen Gebäuden und eine Ende der Waffenexporte an das fundamental-islamische „autoritäre“ Saudi-Arabien mit seiner „desaströsen Menschenrechtssituation“ gefordert und verabschiedet.

Spaßbad statt Badeanstalt: Münster steht vor der Neuordnung seiner Bäderlandschaft und ehemaliger Kasernengelände

Mai 17, 2014

In Münster tobt eine Debatte um die Neuordnung der Bäderlandschaft. Die SPD machte einen Vorstoß, im expandierenden Stadtteil Gievenbeck für Münster endlich ein großes Freizeitbad zu errichten, was in der Debatte bald abschätzig „Spaßbad“ genannt wurde. Der Elder Statesman der Münsteraner CDU, Ruprecht Polenz, spottete sogar, die SPD profiliere sich als Partei für „Brot und Spiele“.  Dieser scheinbare Puritanismus ist vor dem Hintergrund der Verschuldung Münsters zu sehen, da Bäder immer Zuschussbetriebe sind.

Ein Besuch des SPD-Ortsvereins West  im Nettebad der Nachbarstadt Osnabrück machte aber deutlich,  dass Münster mit seinen kleinen Hallenbädern dem Trend in anderen Kommunen deutlich hinterherhinkt, der auch unter ökonomischen Gesichtspunkten zur Konzentration auf weniger Bäder führt, die dafür mehr Erlebnischarakter haben und anspruchsvoller ausgestattet sind. Klassische Bäder im Sinne von Badeanstalten haben überall an Attraktivität verloren, berichtete der Osnabrücker Bäder-Chef Wolfgang Hermle der Besuchergruppe aus  Münster. Aber auch Erlebnisbäder, die heute immer auch Gelegenheit zum Sportschwimmen bieten, müssten von Zeit zu Zeit bei steigenden Kosten „attraktiviert“ werden, um nicht wieder Besucherrückgänge zu verzeichnen, räumte Hermle ein, dessen Stolz im Nettebad die Sloop-Rutsche ist, die das Erlebnis freien Falls bietet.

Freizeitbad

Freizeitbereich mit Rutsche im Nettebad

Zu einem Erlebnisbad gehört auch ein großes Sportbecken.

Zu einem Erlebnisbad gehört auch ein großes Sportbecken.

Vorab erkundigten sich Münsteraner Besucher auch über die Osnabrücker Erfahrungen mit der Konversion von Kasernengeländen, denn in Gievenbeck sind erst im vergangenen die Briten aus der Oxford-Kaserne abgezogen.  Der Projektleiter Konversion beim Planungsamt Thomas Rolf führte über das Gelände der ehemaligen Scharnhorstgelände, deren Mannschaftsunterkünfte weitgehend dem Erdboden gleichgemacht wurden. Neben Raum zum Wohnen setzt Osnabrück auf einen Wissenschafts- und Technologiepark: Die Stadt will es hier nicht billig, sondern gehoben haben, um junge Menschen nach dem Studium in der Provinz zu halten. In der Winkelhausenkaserne hingegen ist Polizei eingezogen. Ein Kaffeeautomatenproduzent hat auf dem Gelände am Hafen ein schwungvolles Firmenhaus hochgezogen. Rolf warnte vor Altlasten in Kasernengeländen und Infrastruktur, die unter den Jahrzehnten der britischen Nutzung dort oft stark gelitten habe.

Thomas Rolf erläutert die Konversion der Scharnhorstkaserne. Beate Kretzschmar, SPD Münster-West,  und interessierte Bürger hören zu.

Thomas Rolf erläutert die Konversion der Scharnhorstkaserne. Beate Kretzschmar, SPD Münster-West, und interessierte Bürger hören zu.

Dieses Firmenzentrale auf dem Kasernengelände  erheilt 2013 einen Architekturpreis.

Diese Firmenzentrale auf dem Kasernengelände erhielt 2013 einen Architekturpreis.

Auseinandersetzungen um Straßennamen: Schildersturm in Deutschland

August 23, 2012
Occupy

Aktivisten der Occupy-Bewegung haben eine täuschend echt wirkendes Straßenschild aufgestellt.

Münster hat gerade seinen weitflächigen Hindenburgplatz in Schlossplatz umbenannt, Oldenburg will 130 historische Straßennamen auf Untragbarkeit überprüfen, Freiburg gleich all seine 1300 Straßenschilder. Die Nachrichten über Straßenumbenennungen und umstrittene Versuche dazu häufen sich. Wer ist da am Werk und warum? Es erscheint unglaublich, was für ein Gewese um Straßennamen gemacht wird. Zusatzschilder sind oft doppelt so lang wie das eigentliche Schild, Umwidmungen (Name bleibt, es soll künftig aber einer anderer gemeint), Doppelwidmungen (Name bleibt, aber zusätzlich soll noch ein anderer gemeint sein), Umbenennungen (Name bleibt nicht), Gedenktafeln, schilderstürmerischer Vandalismus und Schilderraub, Überklebungen sowie  kreative Projekte lassen die Straßenschilder nicht mehr einfach so stehen.  Kommissionen, Gremien, Stadträte, Bürgerinitiativen, Anwohnerinitiativen und Künstler zerbrechen sich den Kopf über die richtige Wegweisung, Satiriker machen sich darüber lustig, Internetuser schalten sich ein, Professoren erklären, Straßennamen seien von höchster Bedeutung.

Da ist der kritische, mündige und informierte Bürger aktiv geworden, der sich nicht mehr mit von Geschichte und Stadtverwaltungen gelieferten Straßennamen zufrieden geben will. Das Internet macht es so leicht wie nie, Namensgeber von Straßen zu identifizieren und sich zu empören, über Mörder, Verbrecher, Homosexuellenhasser, Wegbereiter des Faschismus, allzu moskowitische Sozialisten und Kolonialisten, die da möglicherweise geehrt werden.

Stadtverwaltungen gehen dazu über sich wie politische Säuberer in Personengruppen festzulegen, die sich nicht mehr in Straßenschilder niederschlagen sollen. Zeitgenössische  Tendenzen können sich mit Opfern statt Helden auf Straßenschildern besser identifizieren, oder möchten eine Frauenquote erfüllt sehen. Der Krieg hat als horrifizierender, anstößiger, und möglicherweise missleitender Inhalt von Straßenschildern sowieso ausgedient, sodass neben Personen auch Schauplätze von Schlachten, also Orte, von Straßenschildern verschwinden.  Da sind die Historiker als Experten gefragt, die mit ihrem Fach auch einmal etwas erreichen wollen, und wenn es um die Umbenennung oder den Erhalt eines Straßenschildes geht. Da seit dem Zeitalter des Absolutismus die räumliche Orientierung durch Straßenschilder mit politischer Orientierung verbunden wird, bietet der Schilderwald eine Fülle  moralisch oder politisch aus heutiger Sicht missliebiger Menschen an, die auf Straßenschildern verewigt sind.

Hinzu kommen Kommunalpolitiker, die sich in Zeiten knapper Stadtsäckel politisch profilieren wollen, angefeuert werden Sie dabei aus den Medien und auch vereinzelt von Bundespolitikern. Straßenumbenennungen gelten als günstig, wie immer wieder hervorgehoben wird, und sonstige auftretende Kosten können auf die Anlieger abgewälzt werden. Alle wollen sie ihre Wirkungsmacht erproben, Spielwiese oder – verhärtet –  das Schlachtfeld der Kulturkämpfer und Politiker ist der Straßenschilderwald. Selbst Strafanzeigen, Klagen oder wechselseitige Morddrohungen kann es geben. Verschiedene politische Gruppierungen können aneinandergeraten, aber auch verschiedene Geschmäcke. Aktionisten und als moralische Lehrmeister, Richter und Besserwisser auftretende Eiferer geraten mit Besonnenen und Indifferenten aneinander, die Relikten aus anderen Systemen der Vergangenheit keine besondere Bedeutung zumessen oder sie historisch interessant finden. Ältere wollen die vertrauten Schilder oft bewahren, während die mittlere Generation, die die Hebel in der Hand hält, die Gesellschaft mit Umbenennungen auf irgendeine Weise gestalten will.  Es werden kollektivpsychologische Erklärungsmuster bemüht, man spricht von „Flucht aus der Geschichte„,  bei genauerem Hinsehen sind jedoch eine in die Vergangenheit gewendete Demokratieverteidigung in alle Richtungen und europaweit rückwirkende Political Correctness und verschiedene linke Ideologien und Bestrebungen (Antifaschismus, Antinationalismus, Antikolonialismus, Antimilitarismus usw.) als hauptsächliche  Triebfedern der Umbenennungen erkennbar.  Seit der Wiedervereinigung spielen insbesondere Befürchtungen eine Rolle, das geeinte Deutschland könne eine Gefahr für den Weltfrieden darstellen, und der Neonazismus  zu stark werden. Beispielweise wird bei den Auseinandersetzungen um die von-Seeckt- und von-Einem-Straße in Essen fortlaufend mit dem NSU-Terrorismus argumentiert.

Straßenbenennungen dienen auch als Zankapfel. Auseinandersetzungen um Straßenschilder mobilisieren Menschen und markieren territoriale Ansprüche verschiedener gesellschaftlicher und politischer Gruppierungen und Milieus. Politische Gruppierungen auch junger Menschen, von Antifa bis Junge Union, sehen Straßennamen als bedeutungsvoll und  als Mittel der politischen Auseinandersetzung an. Diese benennen Straßen eigenmächtig und provisorisch in Nacht- und Nebelaktionen nach Opfern rassistischer Gewalt um, jene wollen in Westdeutschland den historischen Erinnerungsbestand, so, wie er sich in der Geschichte ergeben hat, eher erhalten, während sie in Ostdeutschland manchen Kommunisten von den Schildern holen wollen.

Dahinter steht  die „denunziatorische Beschäftigung mit Geschichte“, wie sie Bernhard Schlink als Kennzeichen unserer Gegenwart erkannt hat, diese Tendenz ist überall in der Gesellschaft wirkungsvoll.  Die Fähigkeit, sich in die historische Vergangenheit einzudenken, die Bereitschaft, historisch zu relativieren, geht möglicherweise zurück. Das Verständnis der Generationen für ihre Vorgängergenerationen nimmt immer weiter ab, wie zum Beispiel der Historiker Eric Hobsbawm erkannt hat, denn der gesellschaftliche Wandel beschleunigt sich immer weiter. Es spiegeln sich also auch gesellschaftliche Umbrüche, sowie Veränderungen in der Bevölkerungszusammensetzung, in den Umbenennungen. Straßenumbenennungen sind in einem Straßennamensystem Teil des Alltags, treten aber gehäuft nur bei Systemwechseln und (Kultur-)Revolutionen auf.

Alles was übertrieben wird, muss Kritiker auf den Plan rufen: Die manchmal aufschimmernde Tendenz, man könne und müsse die Gesellschaft mit Straßennamen in erheblichem Maße sozialpädagogisch beeinflussen, durchgängig plakativ auf das politische System der Gegenwart einschwören und dabei problematische Dokumente der Geschichte, insbesondere vordemokratischer Systeme, vollständig verschwinden lassen, wird feuilletonistisch schonmal als totalitär kritisiert. Auch kommen Gedanken auf, wie die Straßenumbenennerei unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten wieder begrenzt werden kann. Straßen möglichst neutral nur noch sachbezogen, geschichtslos und apersonal benennen, wie es schon vielfach geschieht? Rationale Systeme aus Zahlen und Buchstabenkombinationen, die ganze Städte überziehen, sind eingriffsfester, aber der Code aus Name und Hausnummer hat sich als sehr praktikabel erwiesen. Straßenumbenennungen nur unter bestimmten Bedingungen zu erlauben, wie das in einigen Kommunen geschieht, ist selbst wieder Gewese um Straßennamen.

Namensstreit in Münster: Hindenburgplatz oder Schlossplatz?

August 4, 2012

Aktuelle hitzige Debatten  in Münster um Straßennamen bereiten mir, auch wegen einiger geschichtsfeindlicher Tendenzen, Sorge. In Münster gibt es ein weiträumiges Areal, eine Art Niemandsland zwischen Stadt und Schloss, das aus alter Zeit stammt. Hier war einmal offenes Feld vor der Stadtmauer, dann ein Schussfeld (Esplanade) zwischen Schlosszitadelle und Stadt. Mitte 18. Jahrhundert wurde das Areal in Neuplatz umbenannt und ansatzweise zu einer Platzanlage ausgestaltet, was aber nicht zu Ende geführt wurde. Das Gelände diente lange Zeit als Exerzierplatz.  Das heute als Parkplatz genutzte aufwertungsfähige Areal heißt seit 1927 Hindenburgplatz. Für mich war das bisher immer eine Erinnerung an einen bestimmten Zeitabschnitt in der deutschen Geschichte  und notierte es als Hinweis darauf, dass die Hindenburgverehrungswelle einst auch nach Münster geschwappt war.  Diese gründete auf den nominellen Oberbefehl Paul von Hindenburgs in der siegreichen Tannenberg-Schlacht gegen die russische Narew-Armee, wodurch damals abgewendet wurde, dass Teile des Deutschen Reiches unter die zaristische Knute gerieten. Davon, dass die Mehrheit der Münsteraner damit eine gegenwärtige Ehrung dieses von Wolfram Pyta als passiv-charismatischen Kriegsherren und phlegmatischen OHL-Militärtechnokraten beschriebenen steinalten letzten Reichspräsidenten zum Ausdruck bringen will, ging ich bislang nie aus. Auch eine durch ein Straßenschild bewirkte breitenwirksame Vorbildwirkung einer heute derart fremdartig wirkenden Figur aus einer vorvergangenen Epoche nehme ich nicht an.

Jetzt soll der Platz nach Jahrzehnten erfolgloser antimilitaristischer Agitation aus dem links-universitären Milieu der Stadt gemäß dem Wunsch der Mehrheit der Lokalpolitiker, unterstützt von Universitätshistorikern, umbenannt werden, weil man nunmehr meint, die Platzbezeichnung bringe eine Ehrung zum Ausdruck, die vor allem aufgrund der Rolle Hindenburgs bei der Machtübernahme Hitlers nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Offenkundig ist auch das an Marketing und Stadt-Image orientierte Milieu der Mitte die Auseinandersetzungen um den Platznamen satt und hofft, Ruhe durch eine neutralere Bezeichnung herzustellen. Von neueren geschichtlichen Erkenntnissen ist die Rede, die zu einer Neubewertung Hindenburgs geführt hätten – dabei ist Hindenburg schon seit Jahrzehnten immer wieder angeprangert worden. Selbst konservative Historiker wie Joachim Fest oder Golo Mann haben ihn kritisiert und in einem ungünstigen Licht dargestellt.

Straßennamen und Platzbezeichnungen können eine Ehrung zum Ausdruck bringen, sind aber vielfach nur Relikte aus vergangenen Zeiten, die einmal eine Ehrung zum Ausdruck gebracht haben mögen, was aber nicht in die Gegenwart fortgeschrieben werden kann: Sie sind dann historisch zu sehen. In Straßenverzeichnissen türmen sich so viele Straßenbezeichnungen aus verschiedenen Epochen und Systemen übereinander, darunter Benennungen nach Herrschern, Feldherrn und Schlachten, es ist unmöglich, dass sie fortlaufend vollständig oder nur umfänglich zum Ausdruck bringen, was aktuelle Bevölkerungsmehrheiten oder gerade tonangebende politische Kreise aus ideologischen Motiven geehrt sehen möchten.  Unmöglich kann sich in einer pluralistischen und arbeitsteiligen Gesellschaft auch jeder mit jedem Straßennamen identifizieren. Eine widerspruchsfreie normative Aussage kann all’ dem schon lange nicht mehr entnommen werden. Unbeirrt von den alten Straßennamen geht das Leben in den Metropolen seinen zeitgenössischen Gang.

Wenn Straßennamen sehr lange Zeit bestehen, der Hindenburgplatz etwa fast 100 Jahre, bürgern sie sich ein und können  – emanzipiert vom Namensgeber – Teil der Lokalgeschichte und des Heimatgefühls werden, was in Münster offenbar mit dem Hindenburgplatz geschehen ist, dessen Namensgeber doch in der historischen Erinnerung durch die Schrecknisse der internationalen Hassfigur Hitler überlagert und weithin in Vergessenheit geraten ist. Die Bezeichnung Hindenburgplatz ist in der ganzen Region bekannt, Verkehrsleitsysteme auf die Bezeichnung eingerichtet, der Name betrifft Adressen von vielen Geschäften und Universitätsgebäuden.  Das Umbenennung des Hindenburgplatzes stößt daher auf massiven Widerstand aus erheblichen Teilen der Bevölkerung. Die letzte Entscheidung wird daher in einer Volksabstimmung mit ungewissem Ausgang am 16. September gefällt werden, die auf Drängen einer scharf(-sinnig) konservativen Bürgerinitiative “Pro Hindenburgplatz – Contra Bilderstürmerei” angesetzt wurde. Bilderstürmerei ist in Münster sehr bekannt durch die historische Wiedertäuferbewegung. Der Hindenburgplatz wird in dieser Sichtweise als Art alte Heiligenstatue beschrieben, die man vom Sockel zu stürzen versucht.  Die Charakterisierung findet ihren Halt im dramatischen Höhepunkt der zurückliegenden Auseinandersetzungen um den Hindenburgplatz, als ein Kommando “Georg Elser” die Straßenschilder des Platzes entfernte.  Man könnte auch von einem Kampf gegen Windmühlen sprechen, weil gegen einen Gegner angerannt wird, der nur noch in der historischen Erinnerung und als Erfindung existiert. So versucht die örtliche Linkspartei, die Bevölkerung mit der abwegigen Vorstellung zu verängstigen, Neonazis könnten um ein Dutzend umstrittener Straßenschilder einen Kult zelebrieren.  Auch eine von Linken gebildete Satire-Gruppe “Hindenburg-Jugend” spielt mit dieser Vorstellung.

Da die Umfrageergebnisse und die Wortmeldungen der Bevölkerung so unterschiedlich ausfallen, steht nur eines schon fest: Sofern die finanziell klamme lokale Kommunalpolitik in der Umbenennung eine Möglichkeit zur günstigen Symbolpolitik gesehen haben sollte, um die sonstige Handlungsunfähigkeit zu überspielen, so ist ihr das schon aufgrund der Kosten des Bürgerentscheids von 285 000 Euro teuer zu stehen gekommen.

Die am 21.3.2012 vom Stadtrat aus geschichtspolitischen Gründen gewählte Bezeichnung Schlossplatz, die die Bezeichnung Hindenburgplatz ersetzen soll, erscheint undemokratisch, unhistorisch und unangemessen. Unangemessen ist die Bezeichnung in architektonischer Hinsicht: Der Schlossplatz bezeichnete bisher nur ein kleines Areal direkt vor dem Schloss. Der Hindenburgplatz ist ein Areal zwischen Schloss und Stadt, dass sich schlauchförmig am Schloss vorbei aus dem Gesichtskreis des Schlosses herausbewegt. Wie es aussieht, handelt es sich doch um zwei unterschiedliche Anlagen, denn jetzt ist auf der  Jump-Wiki der Umbenennungsbefürworter-Initiative die Bezeichnung “Ehrenhof” für den kleineren Platz vor dem Schloss aufgetaucht. Es besteht also offenbar weiterhin ein Bedürfnis, für die beiden Anlagen unterschiedliche Bezeichnungen zu verwenden, um sich über sie zu verständigen. Auf beiden Plätzen, die durch bauliche Elemente voneinander abgegrenzt sind, finden auch Veranstaltungen unterschiedlichen Zuschnitts statt. Das bisherige Schlossplatzareal wird dazu oft abgesperrt. Da das Schloss das Universitätshauptgebäude beherbergt, wird der Platz durch diesen Namen auch unangenehmen durch die Universitätsszene vereinnahmt, obwohl er auch an Militäranlagen, Gerichtsgebäude, Gaststätten, Geschäfte, Wohngebäude und Schulen angrenzt.

Unhistorisch wird durch die Namensausweitung Eindruck vermittelt, der Platz habe schon zu fürstbischöflicher Zeit so geheißen. Das Gelände hieß aber in der Geschichte nie so. In einem fragwürdigen Akt von Geschichtsverdrängung wird eine Platzbezeichnung, die an eine  bestimmte schwierige und schlimme Epoche, die Zeit des 1. Weltkriegs und Weimarer Republik, erinnert, einfach aus dem Stadtbild gelöscht und so getan, als hätte es diese Zeit nie gegeben. Aus der unangenehmen Erinnerung an die Stürme der preußisch-deutschen Geschichte verdrückt man sich und zieht sich auch im Sinne von Regionalismus in die Behaglichkeit münsterländischer Provinzialität zurück. Eine Anregung im Stadtbild, sich mit einem bestimmten Aspekt der Geschichte historisch zu beschäftigen, ginge damit verloren, wo doch gerade die Weimarer Republik reichhaltiges Lehrmaterial bietet, welche Fehler in einer Demokratie vermieden werden müssen. So gut demokratisch -im Sinne einer Mahnung-  ist in der Vergangenheit in Münster auch immer die Beibehaltung des Platznamens begründet worden. Auch wenn dies ohnehin schon deutlich geworden ist, könnte der Stadtrat eine Erklärung verabschieden, wonach die Platzbezeichnung in diesem Falle keine Ehrung (mehr) ausdrückt. Die Stadt Münster ist rechtlich ungebunden, in welchem Sinne sie Plätze widmen will, ob als Ehrung, Erinnerung oder Mahnung.

 Undemokratisch ist die Bezeichnung, weil hier heute das Volk den Platz als Festplatz, zum Flanieren und zum Aufbruch in die Stadt nutzt, und das schon seit langer Zeit, während er den Fürstbischöfen als Schussfeld  auf das Volk gut war. Auf eine Schloss-Symbolik “gegen antidemokratisches Denken” zu setzen, erscheint ähnlich abschüssig wie die Idee der SPD 1932, Hindenburg als Präsidentschaftskandidat zu unterstützen, um Hitler zu verhindern. Man kann sich also nicht mal zu einem politischen Demokratie-Symbol bewegen, obwohl man den Platz letztlich aus ideologischen und geschichtspolitischen Gründen umbenennt und Hindenburg den Untergang der Demokratie vorwirft, stattdessen konkurriert man mit den Hindenburgplatz-Befürwortern im Konservatismus und argumentiert mit “Ehre” und “Schande”. An der Bezeichnung Schlossplatz ist aber nichts demokratisch, weil die Münsteraner Fürstbischöfe bestimmt nicht die Demokratie erfunden haben und das Schloss aus der Zeit des antidemokratischen Absolutismus stammt.  Hingegen  gehört der ambivalent wirkende Hindenburg als Repräsentant einer Nation von Schönwetterdemokraten  auf jeden Fall in die Demokratiegeschichte, denn immerhin betrieb er die langsame Entmachtung Wilhelms II.  und war das einzige direkt vom Volk gewählte Staatsoberhaupt der Deutschen in ihrer Geschichte überhaupt.  Hindenburg setzte seine enorme Popularität dazu ein, mehrere Jahre die Demokratie zu stabilisieren. Er behauptete zwar später, dabei den Hintergedanken gehabt zu haben, bei einer Veränderung der Lage wieder auf eine Veränderung der Staatsform hinzuwirken, aber aufgrund seines hohen Alters konnte Hindenburg gar nicht davon ausgehen, dies noch mitgestalten zu können. Hindenburg wurde zusammen mit Friedrich Ebert, dem vorangegangenen Reichspräsidenten, bei einer zur Blütezeit der Weimar Republik vorgenommen überaus staats-  und republiktragenden Doppel-Widmung von Plätzen in Münster bedacht, deutlich vor der autoritären Wende Hindenburgs nach dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise. Die NSDAP war zum damaligen Zeitpunkt nur eine Randpartei gescheiterter Putschisten, die niemand auf der Rechnung hatte.

Die immer wieder vorgetragene primitiv-pazifistische Argumentation, Münster sei eine “Friedensstadt”, zu der ein Militär als Namensgeber überhaupt nicht passe, beleidigt alle Soldaten und entspricht so nicht der Realität, da Münster eine alte Garnisonsstadt ist, die bis heute auch stark vom Militär geprägt ist, was aber durch absehbaren Abzug der britischen Truppen abnehmen wird. Eine Friedensstadt im Sinne der Abwesenheit von Militär ist die vielleicht gerade wegen der Anwesenheit des Militärs durchaus friedliche Stadt jedenfalls nicht.

Platzbezeichnungen und Straßennamen stehen zu Recht nicht unter Denkmalschutz, und haben auch  – im Gegensatz zu Objekten von wirklichem Ikonoklasmus – keinerlei kunstgeschichtlichen Wert. Menschen jeder Epoche haben das Recht, ihre Vorstellungen in die Benennung von Straßen und Plätzen einzubringen. Das Straßenverzeichnis sollte aber, abgesehen von schmalen Zeitfenstern nach Revolutionen und Systemwechseln,  behutsam und evolutionär – etwa im Zusammenhang mit baulicher Umgestaltung – weiterentwickelt werden, weil seine primäre Aufgabe räumliche Orientierung und nicht Ehrung ist, was eine gewisse Konstanz der Straßennamen wünschenswert erscheinen lässt.  Lokalpolitisch interessierte Menschen müssen lernen, Straßennamen nicht zu sehr mit Erwartungen zu überfrachten, weil sie sonst aus dem Umbenennen nicht mehr herauskommen.

An Vorstellungen für so ein Areal kann man namentlich und architektonisch natürlich viele entwickeln: Mir persönlich würde “Platz der Freiheit” für das Areal zusagen. Diese Bezeichnung passt gut zu so einem jedwede Symmetrie missachtenden, vielfältig genutzten und offen begehbaren Gelände, das an unterschiedliche Gebäude angrenzt und weder Altstadt noch Schloss zugeordnet werden kann. Da die Nutzung des Platzes stark durch den Send, eine dreimal jährlich stattfindendes Volksfest, charakterisiert ist, würde auch die Bezeichnung “Sendplatz” vermeintlich gut passen.  Möglicherweise müssen die Anhänger der Umbenennung in Schlossplatz stärker kommunizieren, was aus ihrer Sicht die Umbenennung auch für die künftige Gestaltung des Platzes bedeuten soll, denn derzeit fällt es schwer, eine so schmucklose Parkplatzanlage und Volksfestmeile mit der Bezeichnung “Schlossplatz” zusammenbringen. Vielleicht will man dies aber auch gar nicht so in den Vordergrund stellen, da eine Umgestaltung ja noch eine viel stärker Beeinträchtigung von Vertrautheit und Heimatgefühl bedeuten würde als die schon so hart umstrittene Umbenennung.
Aussagekräftige Fotos vom Hindenburgplatz, wie er für Passanten aussieht:
https://plus.google.com/photos/105211582444391686432/albums/5773996416569400353/5773996423385109426?banner=pwa