Archive for the ‘Lyrik’ Category

Weltende, 2. Teil

April 2, 2022

Die Welt
Fällt
Auseinander.

Lieferketten geh’n entzwei,
Reisen wird zur Qual.

Der Hass greift um sich,
In der Ukraine, liest man, gibt es Krieg

Die Preise steigen,
Die Kurse fallen.

Das Öl geht aus,
Am Gashahn wird gedreht.

Die meisten Menschen haben eine Grippe,
Getrennt sind sie durch Masken.

Sie horten in ihren Wohnungen,
Und warten
Auf‘s Ende?

Der Krieg

März 30, 2022

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne wimmert ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

Über runder Mauern blauem Flammenschwall
Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.
Über Toren, wo die Wächter liegen quer,
Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.

In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.

Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,
Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne mehr.

Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.

Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

(Georg Heym, 1911)

Wer war es, der den Lorbeer brach

März 28, 2021
Die Käfige an St. Lamberti, in der die hingerichteten Anführer des Täuferreichs zu Münster, Jan von Leyden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling, zur Schau gestellt wurden. Foto: Grafenstein

Wer war es, der den Lorbeer brach
Und ihn an seine Kappen stak.
Ich will´s euch offenbaren:
Wir riefen das Kreuz vom Himmel an
Wir frommen Landsknecht alle.

Es war an einem Montag,
Als der Sturm auf Münster anbrach
Wohl um die siebte Stunde.
Da blieb so mancher Landsknecht tot
Vor Münster in der Runde.

Zum Sturm war es nur kurze Zeit
Bis die Mette war bereit.
Die Mette war gesungen,
Dann schossen sie los der Büchsen drei,
Alarm, so schlug die Trommel.

Die Landsknecht warn in großer Not
Da blieben wohl dreitausend tot.
In anderthalben Stunden
War das nicht der Knecht‘ ein großer Hauf,
Drum soll kein Landsknecht trauern.

(Landsknechtslied aus dem 16. Jahrhundert, das an den Kampf gegen das Täuferreich zu Münster und die Belagerung der Stadt durch die Truppen des Fürstbischofs Franz von Waldeck erinnert.)

Das Steigerlied

März 22, 2021
Ein kleines Kohlebergwerk, ein „Pütt“, im Ruhrgebiet nach dem 2. Weltkrieg. Foto: Privat.

Glückauf, Glückauf; der Steiger kommt;
Und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
Und er hat sein helles Licht bei der Nacht
Schon angezünd’t, schon angezünd’t.

Schon angezünd’t, das wirft sein‘ Schein;
Und damit so fahren wir bei der Nacht,
Und damit so fahren wir bei der Nacht
Ins Bergwerk ein, ins Bergwerk ein.

Ins Bergwerk ein, wo die Bergleut sein;
Die da graben das Silber und das Gold bei der Nacht,
Die da graben das Silber und das Gold bei der Nacht
Aus Felsgestein, aus Felsgestein.

Der eine gräbt das Silber, der andere gräbt das Gold;
Doch dem schwarzbraunen Mägdelein bei der Nacht,
Doch dem schwarzbraunen Mägdelein bei der Nacht
Dem sein sie hold, dem sein sie hold.

Ade Ade, Ade Ade; Herzliebste mein;
Denn da drunten im tiefen finstern Schacht bei der Nacht,
Denn da drunten in dem tiefen finstern Schacht bei der Nacht
da denk ich dein, da denk ich dein.

Und kehr ich heim, zur Liebsten mein;
Dann erschallet des Bergmanns Gruß bei der Nacht,
Dann erschallet des Bergmanns Gruß bei der Nacht,
Glückauf Glückauf, Glückauf Glückauf.

Wir Bergleut‘ sein kreuzbrave Leut‘!
denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht,
denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht;
und saufen Schnaps, und saufen Schnaps.

(Alte deutsche Volksweise, Hymne aller Bergleute)

Die Gedanken sind frei

März 22, 2021

Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten,
sie fliehen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.

Ich denke, was ich will,
und was mich beglücket,
doch alles in der Still,
und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.

Ich liebe den Wein,
mein Mädchen vor allen,
sie tut mir allein
am besten gefallen.
Ich bin nicht alleine
bei meinem Glas Weine,
mein Mädchen dabei:
die Gedanken sind frei.

Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke;
denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
die Gedanken sind frei.

Drum will ich auf immer
den Sorgen entsagen
und will mich auch nimmer
mit Grillen mehr plagen.
Man kann ja im Herzen
stets lachen und scherzen
und denken dabei:
die Gedanken sind frei.

(Alte deutsche Volksweise)

Die Adelsfamilie Droste zu Hülshoff und Münster

Mai 15, 2019

Wilderich Freiherr von Droste zu Hülshoff überreicht sein Buch an Bürgermeisterin Beate Vilhjalmsson. Foto: Presseamt Münster

Münster (SMS) Wilderich Freiherr von Droste zu Hülshoff überreichte in der Rüstkammer des Rathauses sein Buch „900 Jahre Droste zu Hülshoff“ an Bürgermeisterin Beate Vilhjalmsson (Bild). Darin beleuchtet er die Geschichte der Adelsfamilie. Sie ist nicht allein durch Annette von Droste-Hülshoff („Die Judenbuche“) eng mit Münster verbunden. Durch die Jahrhunderte haben immer wieder Familienmitglieder in Münster und im Münsterland gelebt und die Geschichte der Stadt mitgeprägt. Sechs Familienmitglieder waren Bürgermeister in Münster. Der Jurist und Schriftsteller Freiherr von Droste zu Hülshoff lebt in der Nähe von Freiburg. Er  repräsentiert die 24. Generation der Familie. Neben juristischer und kulturpolitischer Fachliteratur hat er auch über Annette von Droste-Hülshoff publiziert und hält Fachvorträge.

Lyrikertreffen in Münster: Poetisch denken!

Mai 14, 2019

Das renommierte Lyrikertreffen in Münster steht wieder an. Foto: Stadt Münster

Münster (SMS) Seit 40 Jahren reisen Lyriker und Lyrikerinnen aus dem In- und Ausland zum Internationalen Lyrikertreffen an, das vom Kulturamt der Stadt Münster und vom Literaturverein Münster veranstaltet und von der Kunststiftung NRW gefördert wird. In ihrem Gepäck: Strophen und Verse. In diesem Jahr gehören auch Instrumente dazu. Werfen wir ein Blick auf Programm, das die Lesungen der Gedichte begleitet.

Warum überhaupt Lyrik?
Walther von der Vogelweide, Johann Wolfgang von Goethe, Novalis – Namen, die Erinnerungen an die Schulzeit wecken. Warum musste man Schiller-Balladen auswendig lernen? Oder den Aufbau von Versmaßen verstehen? Christian Metz stellt zu Beginn des Lyrikertreffens gleich die Frage aller Fragen: Warum überhaupt Lyrik?
Der promovierte Germanist beschäftigt sich auf mannigfaltige Weise mit Literatur – in Forschungsarbeiten, Essays, Literaturkritiken, als Privatdozent in der Hochschullehre. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im Feld der Gegenwartslyrik. Doch ist die Gattung überhaupt noch zeitgemäß? Christian Metz ist überzeugt: Die Poesie ist auf Erfolgskurs. Er bilanziert den aktuellen Stand der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, wagt eine Bestandsaufnahme des Lyrikbooms der vergangenen 20 Jahre und befasst sich mit Autoren und wie sie sich in den sozialen Medien präsentieren. Der Titel seines Buches, das Metz dem Publikum präsentiert, lässt sich treffend für das Lyrikertreffen auch als Aufforderung für die gesamte Veranstaltung lesen: „Poetisch denken“!

Hohe Kunst des Übersetzens von Lyrik
Und wie denkt man poetisch in anderen Sprachen? Das Übersetzen von Lyrik ist ein zweites großes Thema beim Lyrikertreffen – und es ist eine hohe Kunst. Erfahren lässt sie sich in einer Lesung mit anschließendem Workshop. Den Schriftsteller und Herausgeber Hans Thill begleiten die drei syrischen Autoren Mohammad Al-Matroud, Lina Atfah und Aref Hamza sowie ihre Übersetzer Brigitte Oleschinski, Joachim Sartorius und Julia Trompeter. Ihre Gedichte hat Thill zusammen mit Mahmoud Hassanein in der Anthologie „Deine Angst – Dein Paradies“ veröffentlicht.
In Syrien waren die Dichterinnen und Dichter ganz vorn bei denen, die sich für eine Demokratisierung der Gesellschaft einsetzten. Sie haben es gebüßt durch Verfolgung und Exil, jetzt leben einige von ihnen in Deutschland. Die Gedichte, die sie lesen, richten den Blick in ihre Heimat, erzählen von Krieg und Frieden, von Hoffnung und Träumen. Beteiligt am Workshop sind Studierende der Westfälischen Wilhelms-Universität, die sich im Vorfeld des Lyrikertreffens mit dem Übersetzen von Gedichten beschäftigt haben. Welche Tücken das Sprach-Handwerk des Übersetzens birgt, können hier alle Interessierten ganz direkt erleben.

Ausnahmelyriker Paul Celan
Um Dichtung im Angesicht des Krieges geht es auch beim Memorial, das ein fester Bestandteil des Lyrikertreffens ist. Der künstlerische Leiter Hermann Wallmann hat es im Vorgriff auf das Celan-Jahr 2020 programmiert, wenn der 100. Geburtstag und der 50. Todestag des Ausnahmelyrikers zusammenfallen. Der Autor und Literaturkritiker Helmut Böttiger wird in Münster Celans jüdische Familiengeschichte, sein lyrisches Werk und seine Liebe zur Schriftstellerin Ingeborg Bachmann beleuchten.
Böttiger zählt zu den renommiertesten Literaturkritikern Deutschlands, war nach seiner Promotion als Literaturredakteur tätig und hat sich intensiv mit dem Werk und der Person Celans beschäftigt. „Celan ist fast so etwas wie ein Heiliger, hat das berühmteste Gedicht nach 1945 geschrieben: die ‚Todesfuge‘. Das wird mit ihm gleichgesetzt – er wurde so gelesen: Als einer, der in schöner Sprache die Schuld der Deutschen ausgedrückt hat und dadurch die Möglichkeit gegeben hat, dass die Deutschen sich von ihrer Schuld entlastet fühlen können“, erklärte Böttiger im Deutschlandfunk.
Termine:
Deine Angst – Dein Paradies. Gedichte aus Syrien: Lesung mit Übersetzungsworkshop, Freitag, 24. Mai, 11-14 Uhr, Studiobühne, Domplatz 23
Warum Lyrik? Christian Metz: Die Lyrik der Gegenwart, Freitag, 24. Mai, 16-17 Uhr, Theatertreff, Neubrückenstraße 63
Celan-Memorial. Helmut Böttiger über Paul Celan, Samstag, 25. Mai, 14-15 Uhr, Theatertreff, Neubrückenstraße 63
Info: www.lyrikertreffen-muenster.de, Karten an der Theaterkasse, (02 51) 59 09-100

Im Nebel

August 17, 2016

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allem ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

(Hermann Hesse)

Hälfte des Lebens

Mai 16, 2016

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

 

(Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens, 1805)

Prometheus

Mai 3, 2016

Bedecke deinen Himmel Zeus
Mit Wolkendunst!
Und übe Knabengleich
Der Disteln köpft
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts ärmers
Unter der Sonn als euch Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war
Nicht wußt wo aus wo ein
Kehrt ich mein verirrtes Aug
Zur Sonne als wenn drüber wär
Ein Ohr zu hören meine Klage
Ein Herz wie meins
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir wider
Der Titanen Übermut
Wer rettete vom Tode mich
Von Sklaverei?
Hast du’s nicht alles selbst vollendet
Heilig glühend Herz
Und glühtest jung und gut
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal
Meine Herrn und deine.

Wähntest etwa
Ich sollt das Leben hassen
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen
Blütenträume reiften.

Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen
Genießen und zu freuen sich
Und dein nicht zu achten
Wie ich!

(Johann Wolfgang v. Goethe: Prometheus, frühe Fassung, erschienen 1778)