Archive for the ‘Lyrik’ Category

Wer jetzig Zeit leben will

Mai 3, 2016

Wer jetzig Zeiten leben will,
muß hab’n ein tapfers Herze,
es hat der argen Feind so viel,
bereiten ihm groß Schmerze.
Da heißt es stehn ganz unverzagt
in seiner blanken Wehre,
daß sich der Feind nicht an uns wagt,
es geht um Gut und Ehre.

Geld nur regiert die ganze Welt,
dazu verhilft Betrügen;
wer sich sonst noch so redlich hält,
muß doch bald unterliegen.
Rechtschaffen hin, rechtschaffen her,
das sind nur alte Geigen:
Betrug, Gewalt und List vielmehr,
klag du, man wird dir’s zeigen.

Doch wie’s auch kommt, das arge Spiel,
behalt ein tapfers Herze,
und sind der Feind auch noch so viel,
verzage nicht im Schmerze.
Steh gottgetreulich, unverzagt
in deiner blanken Wehre:
Wenn sich der Feind auch an uns wagt,
es geht um Gut und Ehre!

(Volkslied, 17. Jahrhundert)

Heinrich Heine über die Westfalen

November 10, 2015

Dicht hinter Hagen ward es Nacht,
Und ich fühlte in den Gedärmen
Ein seltsames Frösteln. Ich konnte mich erst
Zu Unna, im Wirtshaus, erwärmen.

Ein hübsches Mädchen fand ich dort,
Die schenkte mir freundlich den Punsch ein;
Wie gelbe Seide das Lockenhaar,
Die Augen sanft wie Mondschein.

Den lispelnd westfälischen Akzent
Vernahm ich mit Wollust wieder.
Viel süße Erinnerung dampfte der Punsch,
Ich dachte der lieben Brüder,

Der lieben Westfalen, womit ich so oft
In Göttingen getrunken,
Bis wir gerührt einander ans Herz
Und unter die Tische gesunken!

Ich habe sie immer so liebgehabt,
Die lieben, guten Westfalen,
Ein Volk, so fest, so sicher, so treu,
Ganz ohne Gleißen und Prahlen.

Wie standen sie prächtig auf der Mensur
Mit ihren Löwenherzen!
Es fielen so grade, so ehrlich gemeint,
Die Quarten und die Terzen.

Sie fechten gut, sie trinken gut,
Und wenn sie die Hand dir reichen
Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie;
Sind sentimentale Eichen.

Der Himmel erhalte dich, wackres Volk,
Er segne deine Saaten,
Bewahre dich vor Krieg und Ruhm,
Vor Helden und Heldentaten.

Er schenke deinen Söhnen stets
Ein sehr gelindes Examen,
Und deine Töchter bringe er hübsch
Unter die Haube – Amen!

 

Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen; Caput X.

Sommergedicht

Juni 9, 2014

Zerfließendes Eis –

Am Strand liegen unter Meeresdösen.

Es ist so heiß.

Brütende Hitze, brennende Sonne, unklare Gedanken.

Durch glühende Straßen müssen wir wanken,

Wir räkeln uns wie Schlangen,

Nackte Bräune weckt das Verlangen.

Sehnen nach Kühlung und

Rauch von Grillfeuern vernebelt uns.

Nach dem blauen  Himmel kommt Spannung und Dunst.

Dann ein Knall –

Dem Gewitterdonner folgt Regen.

Morgen müssen wir uns wieder bewegen.

Frühlingsgedicht

März 9, 2014

Um mich herum ist alles im Erblühen,

Grüne Gänge schirmen mich, die Blumen sprießen,

Die jungen Herzen wollen endlich glühen.

 

Der Wind liebkost meine Wangen,

Vöglein zwitschern ihr Lied,

Vorbei das Hoffen und Bangen,

Ob der Winter denn wieder zieht.

 

Jetzt ist er da, der Neu-Beginn.

Wir vergessen die alten Fehler

Und geben uns der Versuchung hin.

In der Bahnhofshalle des Lebens

Februar 3, 2014

Ich warte in der Bahnhofshalle des Lebens.

 

Ich studiere den Fahrplan der Vergangenheits-Schienen.

Die vertanen Chancen,  Ausflüge ans Ende der Nacht,

Einstige Reisegefährten haben es un-weit gebracht,

Alte verfärbte Hoffnungen in zerscherbten Vitrinen.

 

Im Geiste besteige ich einen Zug und fahr‘:

Passiere Erlebtes meiner  bisherigen Reise,

Auch nur Erdachtes und Vorgestelltes, was aber war –

All‘ die Versäumnisse der Abstellgleise.

 

Wie das Frühstück im Sonnenschein –

Ich stellte mir immer vor, mein Herz,

Du hättest dort gelacht und gescherzt.

Wie könnte es wirklich gewesen sein?

 

Ich seh‘ Deinen vermissenden Blick,

Wie er unter den Gästen voller Resignation

Suchend wandert. Traurig warst Du. Kein Zurück

Gibt es auf der Trasse des Lebens zur Endstation.

 

Was will der Fahrplan der Zukunft berichten?

Ich erkenne keine Abfahrts- und Ankunftszeiten:

Er zeigt Pfade der verschlungenen Möglichkeiten,

Die sich zum umentwirrbaren Knäuel verdichten.

 

Durchsage am Bahnsteig. Ein Zug fährt ein.

Wintergedicht

Dezember 3, 2013

Vor allem hat man endlich seine Ruhe,
Die Landschaft verwandelt sich in eine Tiefkühltruhe.

Der Tag ist kurz, die Nacht kommt schnell,
Der Himmel ist schwarz, doch das Weiß ist hell.

Festgefahren, festgesteckt ist man im Schnee.
Hoffentlich kommen wir über den Winter, oh weh!

Zeit, Bilanz zu ziehen und neue Pläne zu schmieden,
Wenn man eingeschneit ist im Frieden.

Der Drachenfels

November 10, 2013

Was kann man mit Drachen
Alles machen?
Ich stecke ihnen die Zunge in den Rachen,
Bringe sie durch Kitzeln zum Lachen,
beiße ihnen in den Nacken,
Um ihre Liebesglut zu entfachen.
Muss man Drachen
Bewachen
Oder sind Sie treu
Wie Efeu?
Drachen schlafen nicht auf Heu,
Sondern auf Drachenfelsen,
Dort streicheln sie sich an ihren Hälsen
Mit ihren langen Schwänzen,
Und drehen sich in Liebestänzen.
In der Umgebung der Drachen ist solche Hitze,
Dass ich schon beim Gedanken an sie schwitze.

Wer mit Drachen hat zu schaffen,

Muss sich rüsten mit guten Waffen.

Herbstgedicht

November 9, 2013

Es ist wieder Herbst geworden:
Die Träume sind nicht mehr das,
Was sie mal spiegelten,
Die Wünsche nicht mehr das,
Was sie mal hofften.

Die Bäume stehen abgemagert und leer,
Teils noch in Farbenpracht
Blüte täuschend, wo bereits Verwesung stiftet.
Rüstung und Sammlung der letzten Kräfte
Für die Kälte, die noch kommt.

Burg Hülshoff: Lesung mit Martina Gedeck eröffnet Gedicht-Ausstellung

Juni 16, 2013

SAM_0359„O schaurig ist’s über’s Moor zu gehen…“ Die bekannte Schauspielerin Martina Gedeck eröffnete im Rahmen eines Literaturfestes mit einer Lesung aus Briefen und Gedichten der Annette von Droste-Hülshoff eine Ausstellung im Schlosspark der Burg Hülshoff.  Martina Gedeck hatte sich in ein altmodisches weißes Kleid geworfen und schien stellenweise beim intensiven Vortrag mit der historische Dichtergröße zu verschmelzen.

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Noch bis zum 14.7. 2013 werden für interessierte Besucher drei Pavillons zu besichtigen sein, die mittels von effektvoller Innenarchitektur den Eindruck der Gedichte  „Der Knabe im Moor“, „Am Thurme“ und „Im Grase“ multimedial wiedergeben und interaktiv begehbar machen wollen.  Die Umsetzung scheint durchaus gelungen: Im ersten Pavillon muss sich der Besucher angstvoll ducken, um in dunklen Gängen ein Panoptikum ansehen zu können, in zweitem kann er einen Ausblick genießen und  im dritten sich an einen Graskubus anlehnen. Die Burg Hülshoff ist im vergangenen Jahr der Annette von Droste zu Hülshoff- Stiftung übertragen worden: „Kreative Formen der Vermittlung und Präsentation von Literatur sollenen einen innovativen Literaturort mit überregionaler Anziehungskraft entstehen lassen.“

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Musikalische Erinnerungen I: Auf, Ansbach-Dragoner! Auf, Ansbach-Bayreuth!

Dezember 22, 2012

In Bayreuth hörte ich das erste Mal Menschen zu einer alten deutschen Marschmelodie ein Lied anstimmen.

 Auf, Ansbach-Dragoner! Auf, Ansbach-Bayreuth!
Schnall um deinen Säbel und rüste dich zum Streit!
Prinz Karl ist erschienen auf Friedbergs Höh’n,
Sich das preußische Heer einmal anzusehen.
Drum, Kinder, seid lustig und allesamt bereit:
Auf, Ansbach-Dragoner! Auf, Ansbach-Bayreuth!

Drum, Kinder, seid lustig und allesamt bereit:
Auf, Ansbach-Dragoner! Auf, Ansbach-Bayreuth!

Aber hören Sie selbst. Das alles wirft Fragen auf: Fränkische Dragoner sollen der preußischen Geschichte eine bedeutende Wendung gegeben haben? Zogen sie tatsächlich mit diesem Lied auf den Lippen in die Schlacht? Wie kommt ein preußisches Regiment zu diesem Namen?

Das alles hängt mit Hohenzollern-Dynastie zusammen, die auch in Bayreuth herrschte. Das Stadtwappen Bayreuths enthält noch heute schwarz-weiße Felder, die klassizistische Architektur wirkt teilweise preußisch. Der Beitrag auf Wikipedia ist leider sehr verkürzt. Ich empfehle die ausführliche Darstellung bei Jochen Seidel.

Zur Melodie des Hohenfriedbergers singende Soldaten tauchen auch in dem sehenswerten Stanley-Kubrick-Film „Barry Lyndon“ auf, der im 18. Jahrhundert spielt. Wer die beiden Beiträge gelesen hat, weiß jetzt, dass das Zeitkolorit der Handlung hier historisch ungenau ausgestaltet ist, da das Lied zum Marsch erst im 19. Jahrhundert geschrieben wurde.

Stadtwappen von Bayreuth

Stadtwappen von Bayreuth