Posts Tagged ‘von Grafenstein’

Sieben

Dezember 3, 2022

Ich mit wohl sieben Jahren in den 1980er Jahren, eine glückliche Zeit in der Erinnerung vieler Westdeutscher.
Als noch kleineres Kind war ich hellblond, die Haarfarbe dunkelte dann bis heute ins Mittelblond.

Bereits als Kind war ich recht vielseitig. Im Kindergarten verarztete ich als Doktor die Puppen meiner Spielkameradinnen, vielleicht hätte ich beruflich was aus diesem lukrativen ärztlichen Talent machen sollen. Daneben konnte ich schon früh gut malen und zeichnen und zeichnerisch regelrechte kleine Geschichten erzählen, eine Vorausahnung meiner journalistischen Neigungen und meiner Lust an Fotostorys? Von Dingen wie Recht und kaufmännischem Rechnungswesen, mit denen ich mich in Bildungsprogrammen später beschäftigte, hatte ich damals allerdings noch keine Ahnung, höchstens den Wunsch, Streitigkeiten in meiner Familie zu schlichten, und es dem Vater, der Manager war, was auch immer das sein sollte, gleich zu tun. Meine Faschingskostüme als Offizier, Ritter, Clown oder Sheriff deuteten in verschiedenste Richtungen der kindlichen Phantasiewelt aus Märchen, Sagen, Fernseherlebnissen und Abenteuergeschichten. In dem Alter von Sieben entdeckte ich die Faszination für die Jahresrückblicke im Fernsehen, den freudigen Umbruch der Wiedervereinigung erlebte ich als zehnjähriger Medienkonsument im Fernsehen schon in vollem Bewusstsein, sie rückte bald merklich auch außerhalb des Fernsehens die Oberpfalz, in der ich aufwuchs, aus ihrer Randlage am Eisernen Vorhang wieder ins Zentrum Europas. Mein Vater packte mich und meine zwei älteren Brüder ins Auto und wir fuhren nach dem Mauerfall nach Berlin, um die Reste der zertrümmerten Mauer zu sehen. Davor erinnere ich mich aus dem Jahr der Fotoentstehung medial an die Katastrophe von Tschernobyl, aus der Zeit danach an den Tod von Franz Josef Strauß in Regensburg und die Fatwa gegen Salman Rushdie. Das Thema Politik und Geschichte und vor allem Zeitgeschichte hatte mich schon früh gepackt, und fesselt es mich bis heute, aber eher als Zuschauer, Chronist und Kommentator denn als Akteur.

Besuch bei Gustav v. Schlör

August 24, 2022
Das Denkmal für den letzten bayerischen Handelsminister Gustav v. Schlör (1820-1883) am Schlörplatz in Weiden (Oberpfalz). Schlör führte die allgemeine Gewerbefreiheit in Bayern ein und trieb den Eisenbahnausbau voran. Mütterlicherseits entstammte er der Familie v. Grafenstein.

Gestern besuchte ich einen alten Schulfreund in Weiden (Oberpfalz). In Weiden habe ich als Heranwachsender das Augustinus-Gymnasium besucht und mir dort humanistische Bildung angeeignet. Weiden war und ist aber auch abseits der Gymnasien das Herz der nördlichen Oberpfalz für die Umlandbewohner. Ein regional wichtige Einkaufsstadt, Behördenstadt, Kulturstadt, mittlerweile auch Hochschulstandort. Durch die Coronakrise hat Weiden allerdings Federn lassen müssen. In der Shoppingmeile Max-Reger-Straße stehen doch ein paar Geschäfte leer und nur wenig Laufkundschaft scheint in der Straße unterwegs, hinter den Kulissen der noch bestehenden Geschäfte brodelt es: Manche Händler versuchen Mietnachlässe herauszuhandeln, ob der Umsatzeinbußen. Die Vermieter suchen derweil nach lukrativeren Mietern. Am Platze des alten Hertie ist derweil, 2019, ein großes Einkaufszentrum entstanden, das Nordoberpfalz Center. Belebter fand ich die Altstadt mit ihren vielen Gaststätten, Cafés und Restaurants mit Außenbestuhlung vor, jedoch war ein Teil des Unteren Marktes durch Polizei abgesperrt, da kurze Zeit vor meinem Eintreffen ein Amoklauf einer mutmaßlich psychisch kranken 65jährigen Frau mit einem schwertähnlichen Gegenstand hier Verletzte gefordert hatte. Weiden war an diesem Tag überall mit einer Negativschlagzeile in den Medien. Jedoch gibt es solche Vorfälle überall und typisch für Weiden ist eher die ausgeprägte bayerische Kleinstadt-Idylle mit Brunnengeplätscher, Wochenmarkt und Patrizierhäusern, die man hier vorfindet. Die Weidener Welt ist klein, so traf ich zufällig auch einen alten Lehrer wieder. Mein alter Schulweg führte mich auch stets an dem Denkmal für Gustav v. Schlör, dem letzen bayerischen Handelsminister, vorbei, auch ihm erwies ich meine Referenz. Auch den Schnellimbiss am großen Parkplatz, wo ich als Schuljunge die leckersten Hamburger meines Lebens aß, gibt es mit selbem Betreiber, wie ich mich überzeugte, immer noch. Weiden mit „W“ wie „Wiedersehen macht Freude!“.

Der bunte Rock der Belle Époque

März 26, 2022

Soldaten und Offiziere trugen noch im deutschen Kaiserreich bis 1910 bzw. 1914 den sogenannten „bunten Rock“, in Bayern nicht in Preußischblau, sondern im etwas helleren Kornblumenblau, denn das Königreich Bayern unterhielt ein eigenes Heer und ein eigenes Kriegsministerium. Leider ist auf den alten Schwarz-Weiß-Fotografien diese einstige Buntheit nicht zu erkennen, und es wirkt, als hätten deutsche Soldaten schon Ende des 19. Jahrhunderts das Feldgrau des 1. Weltkriegs getragen. Maler haben zudem das Kornblumenblau der bayerischen Uniform oft falsch dargestellt. In Bayern gibt es jedoch ein Armeemuseum, in dem als Uniformexperte Herr Daniel Hohrath M.A. arbeitet. Er war bei der fachgerechten Kolorierung des Fotos durch meinen Bruder Frank von Grafenstein und bei der Zuordnung des Fotos behilflich.

Et voilá, zu erkennen sind vier Einjährig-Freiwillige des 6. kgl. bay. Infanterieregiments in Amberg im Jahr 1895, von denen einer, links sitzend, noch Gefreiter ist, die anderen schon zu überzähligen Unteroffizieren befördert worden sind. Vorne rechts sitzt mit Zigarre mein Urgroßvater Hermann v. Grafenstein (1874-1955). Mein Großmutter glaubte einst, mit ihm seien seine drei älteren Brüder Adolf, Karl und Emil abgebildet, und beschriftete das Foto entsprechend, dies stellte sich nach weiteren Recherchen als unhaltbar heraus. Adolf diente als Kavallerieoffizier in einem preußischen Ulanenregiment, Emil leistete seinen Einjährig-Freiwilligen-Dienst früher und Karl erst deutlich später ab. Hermann, übrigens Altersgenosse von Winston Churchill, der sich ebenfalls 1895 in ähnlicher Pose in Uniform ablichten ließ, nahm am 1. Weltkrieg im Range eines Hauptmanns an der Westfront teil. Ob er Mitte der 1890er Jahre ahnen konnte, dass für ihn 20 Jahre später aus dem Exerzieren im bunten Rock blutige wie triste Realität im Feldgrau des Schützengrabens werden würde?

Prost!

März 3, 2022
Bierglas der ehemaligen v. Grafenstein’schen Schlossbrauerei in Röthenbach (Oberpf), die bis Ende der 1960er Jahre in Betrieb war.

Hammerschloss Röthenbach – ein Dornröschenschloss im Holzkorsett

Februar 5, 2022

Hammerschloss Röthenbach, 2012, vor dem Teileinsturz.

Hammerschloss Röthenbach, 2012, nach dem Teileinsturz.

Hammerschloss Röthenbach, 2017, mit Holzkorsett.

Seit seinem Teileinsturz bei Drainagearbeiten am 16. Juli 2012 präsentiert sich das verwaiste Röthenbacher Hammerschloss in einem aufwändigen Holzkorsett und wird wie ein Dornröschenschloss zunehmend von der Natur umwuchert. Sicher würde es auch einigen Aufwand erfordern, die eingestürzte Westseite wieder hochzumauern und auch die das Schloss umgebenden Gutsgebäude zu sanieren. Wenigstens ist das idyllisch gelegene Hammerschloss aus dem Jahr 1678 gut gesichert und verriegelt, auch gegen Einbrecher, die nur zu ihrem eigenen Unheil in die Schlossruine einsteigen könnten. Einige kunstvolle Fassadenreste auf der Rückseite des Gebäudes weisen darauf hin, dass das alte Herrenhaus, das 2007 von meiner Mutter Christine von Grafenstein an den irischen Unternehmer Raymond Grassick verkauft wurde, einmal ein wahres Schmuckkästchen gewesen sein muss, Schätze enthält es jedoch nicht mehr.

Mehr Bilder aus dem verfallenden Ortskern von Röthenbach finden sich hier.

Barocke Rustikafassade auf der Rückseite des Schlosses

Geweihhalle im Hammerschloss Röthenbach

März 23, 2021
Geweihsammlung der Familie v. Grafenstein mit über 1400 Trophäen, geschossen in rund zwei Jahrhunderten, im Hammerschloss Röthenbach, vor 2007. Foto: Grafenstein

Der Schatz vom Grafenbauernhof

Oktober 15, 2019

Die bayerische Adelsfamilie v. Grafenstein leitet sich genealogisch von der Oberpfälzer Bauernfamilie Graf ab, die ursprünglich – lt. Stammbaum seit 1554, spätestens aber seit dem Dreißigjährigen Krieg – auf dem nach ihr benannten Grafenbauernhof in Oberweißenbach bei Vilseck, nördliche Oberpfalz, saß und im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit einer kleinen Nachblüte des Oberpfälzer Eisengewerbes durch den Betrieb von Eisenhämmern, Eisenhandel und Fuhrwerksbetrieb zu Wohlstand gelangt war. Durch ihr Geschick und glückliche Heirat brachten die Graf die Hammergüter Altneuhaus, Altenweiher, Heringnohe und Hammergänlas in ihren Besitz.  1757 ersuchte Johann Georg Graf (1718-1802), Besitzer von Altneuhaus und Hammergänlas und Landrichter zu Parkstein, den bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph um Verleihung des Adelsprädikats, damit er zu patriotischen Diensten fähiger werde und seinen Gütern und Geschäften besser vorstehen könne. Dem Gesuch wurde im Frühjahr 1758 entsprochen und dem Johann Georg Graf der Name von Grafenstein verliehen. Sein Sohn Johann Georg jun. (1742-1823) wird von der Genealogie des in Bayern immatrikulierten Adels als Stammvater der Familie von Grafenstein genannt, da von dessen drei Söhnen alle drei Linien der Familie abstammen.

Grabstein in der Kirche St. Ägidius in Vilseck für (Johann) Georg von Grafenstein (1718 – 1802), der in zweiter Ehe mit der Anna Barbara, geb. Edle von Mayer (1707 -1792), verheiratet war. Beide wurden 85 Jahre alt.

Den Grafenbauernhof gibt es heute noch, er befindet sich seit rund 200 Jahren im Besitz der Familie Trummer, die eine alte Sage um ihre Vorgänger auf dem Hof überliefert hat, denn der einstige Aufstieg der einfachen Bauernfamilie Graf erzeugte in der Nachwelt Verwunderung, die nach einer Erklärung verlangte:

Der Grafenbauer Georg Graf (1675-1742), der Vater Johann Georgs, träumte, so die Sage, nachts von einer alten Frau, die ihm sagte, er solle nach Regensburg fahren, dort werde er auf der Steinernen Brücke sein Glück finden. Der Grafenbauer wusste zunächst nicht, was er vom Ratschlag der Hexe halten sollte, aber nach der Morgensuppe ließ er seinen Knecht die Kutsche für die Reise nach Regensburg anspannen. Nach der Fahrt durch das Vilstal Richtung Süden kam er nachmittags in Regensburg an. Zu Fuß begab er sich zur Steinernen Brücke und ging auf ihr lange Zeit auf und ab, ohne dass etwas passierte. Da kam am Abend ein Unbekannter auf den Georg Graf zu und fragte, ob er ihm helfen könne, anscheinend kenne er sich nicht in der Stadt aus. Der Grafenbauer erzählte ihm seinen Traum. Der Fremde entgegnete, dass auch er etwas Wirres geträumt hätte: In „Weisserboch“ beim Grafenbauern hinter dem Haus sollen drei Truhen Gold vergraben sein, aber er kenne weder dieses Weisserboch noch den Grafenbauern. Freudig rief der Georg Graf aus, dass er ja der Grafenbauer von Weisserboch sei, und eilte sogleich zu seiner Kutsche zurück, um nach Oberweißenbach zurückzufahren.  Am nächsten Morgen begann der Bauer mit seinen Knechten hinter dem Haus einen Graben auszuheben und tatsächlich: Er stieß auf eine Holztruhe, randvoll mit Gold und Silbermünzen, sodann auf eine weitere, ebenfalls voll mit Kostbarkeiten. Mit diesen Gold- und Silbermünzen, so die Sage, kauften die Grafenbauern und ihre Nachkommen all die großen Hammergüter, darunter später auch Krummenaab und Röthenbach, und auch ihren Adelsnamen. Nach der dritten Truhe suchte der Grafenbauer jedoch vergeblich, sie soll noch heute auf dem Gelände des Grafenbauenhofes zu finden sein,  dieweil die Familie Trummer freilich schon viele vergebliche Anstrengungen unternommen hat, auch mit Sonargeräten, den vermeintlichen Schatz zu entdecken.

Woher aber stammte dieser Schatz? Auch davon weiß die Sage zu berichten. Demnach soll der Grafenbauerhof bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein Sitz eines Steuereintreibers gewesen sein. Dieser war sehr gefürchtet und unbeliebt, da er alle Bauern, die ihrer Steuerpflicht nicht nachkamen, in den Turmanbau des alten Wohnhauses einsperren und schmachten ließ. Als die Gegend von plündernden Horden unsicher gemacht wurde, vergrub der Steuereintreiber bei Nacht und Nebel die gehorteten Steuereinnahmen unter den Büschen, ehe er selbst von der Soldateska erschlagen oder verschleppt und das Haus niedergebrannt wurde. So geriet das vergrabene Gold in Vergessenheit.

Und die Moral von der Geschicht‘? Wenn jemand reich geworden ist, kann das nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. So lautet die Sage, die schon seit langer Zeit in deutschen Landen erzählt wird…

Blick auf die Anhöhe in Oberweißenbach, auf der der Grafenbauernhof und der Jungbauernhof liegen, beides einst Besitz der Familie Graf, schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts aber der Familie Trummer gehörig.

Literaturhinweise:

Eckehart Griesbach: Truppenübungsplatz Grafenwöhr – Geschichte einer Landschaft, 2. Auflage, 1985.

Vereinigung des Adels in Bayern e. V. (Hrsg.), Genealogisches Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels. Bd. 21, Verlag Degener & Co., Neustadt an der Aisch 1996.

Gemalte Geschichte in einem Stammbaum der Familie v. Grafenstein

Januar 27, 2011

 

Die Ausschnitte aus einer goßen  Stammbaum-Wandtafel für die Familie v. Grafenstein aus dem Jahr 1928 zeigen zwei Wappen. Auf der linken Seite das Wappen der Familie v. Grafenstein, auf der rechten das kurbayerische Wappen der Wittelsbacher, wie es sich Mitte des 18. Jahrhunderts präsentierte, als Johann Georg Graf, Begründer der Familie v. Grafenstein, 1758 in den Adelsstand erhoben wurde und das Recht erhielt, den Namen „von Grafenstein“ zu tragen. Unter dem Wappen der Familie von Grafenstein ist das Gut Röthenbach/Oberpfalz zu sehen, im Jahr 1928 das größte Gut der Familie. Unter dem Wittelsbacher-Wappen ist die Burg Hohenparkstein zu erkennen, die Ende des 18. Jahrhunderts abgetragen worden ist und heute nicht mehr steht. In Parkstein findet man nur noch den spektakulären 24 Millionen Jahre alten „schönsten Basaltkegel Europas“ (Alexander von Humboldt), auf dem die Burg errichtet war, und die Bergkirche St. Marien. Auf  Hohenparkstein residierten zuletzt die Verwaltung und Rechtspflege vereinenden Landrichter von Parkstein, zu denen auch Johann Georg Graf  gehörte, dem noch zwei seiner Nachkommen (sein Sohn Johann Georg  jun., geb. 1742, gest. 1823) und der Enkel Eduard, geb. 1776, gest. 1824. später Landrichter in Nabburg) nachfolgten. In seiner Eigenschaft als Landrichter von Parkstein suchte Johann Georg Graf auch um die Nobilitierung beim bayerischen Wittelsbacher-Kurfürsten Maximilian III. Joseph nach, daher wird Hohenparkstein auch auf dem Stammbaum dargestellt, der Künstler verdeutlichte so die Umstände der Nobilitierung. Nach der Abtragung der Burg residierten die Landrichter von Parkstein im Amtsschloss, das heute noch – renovierungsbedürftig –  in der Ortschaft zu finden ist. Laut Angaben im Genealogischen Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels trägt der schwarze Löwe der Familie v. Grafenstein einen silbernen Quader in den Pranken. In der künstlerischen Interpretation auf der Stammbaumanfertigung trägt er allerdings ein Bündel von drei Eisenschienen und erinnert damit an den Aufstieg der Familie v. Grafenstein in der vormodernen Roheisenproduktion der Eisenhammerindustrie  im 18. Jahrhundert.

Basaltkegel, ehemaliger Standort der Burg Hohenparkstein

Offensichtlich ein erzählfreudiger Künstler, der die Wandausführung des Stammbaums malte.

Leseempfehlung zu den Umständen der Nobilitierung und den Ursprüngen der Familie v. Grafenstein: http://www.weber-rudolf.de/hammergaenlas.htm

Amtsschloss in Parkstein

Amtsschloss in Parkstein

 

Aus der Geschichte der Glasindustrie: Böhmische Glasmacher, bayerische Barone und Fürther „Spiegeljuden“ verwandelten Sand in Gold

November 11, 2010

Postkarte aus Röthenbach, (Kaiserzeit), Gut (links, mit Walmdach das Hammerschloss, recht davon Schornstein, der Branntweinbrennerei, Brauerei, Landwirtschaftsgebäude), Bahnhof, Arbeiterhäuser und Glashütte

Postkarte aus Röthenbach(Kaiserzeit), Hammerschloss (links oben) und Gut, Bahnhof, Arbeiterhäuser und Glashütte

Aufgewachsen auf dem stillgelegten Gut Röthenbach/Oberpfalz entwickelte ich schon früh Interesse für Geschichte, denn eine Umgebung, die derart in die Vergangenheit weist, regt die Phantasie an, sich vorzustellen, wie es früher war, als der Ortsteil um das Gut noch belebt war. Warum wirkte jetzt die Umgebung des herrenhausartigen Hammerschlosses wie ein verlassenes Goldgäbernest, und warum wurde ein so großes Gut Ende der 1960er Jahre aufgegeben?

Auf dem Dachboden des Hammerschlosses stieß ich  zwischen Spinnweben und Staub auch auf  Relikte und Unterlagen aus der Kaiserzeit. Aus Erzählungen wusste ich, dass im Ort einmal eine Glashütte mit böhmischen Glasmachern bestanden hatte, die große Bedeutung für den Ort gehabt haben musste.  Ende der 1990er Jahre fand ich mit dem 1914 geborenen Toni Schröpf den letzten lebenden Glasmacherlehrbub, der die Röthenbachhütte noch in Betrieb gesehen hatte, er erzählte mir alte Glasmachersagen und von Glasmacherbräuchen wie dem „Schimmelkauf“: Die Glasmacher zogen dabei zur Faschingszeit mit einer Pferdeattrappe vor das Schloss und der Baron als Hüttenherr musste bieten, den Erlös vertranken die Glasmacher gleich im Wirtshaus. Mit Geschichten wie diesen füllte sich der verwaiste Ortsteil des Dorfes aus der Glashüttenzeit vor meinen Augen mit immer mehr Leben.

Die Glasmacher vor der Röthenbachhütte in den 1920er Jahren.

Die Glasmacher vor der Röthenbachhütte in den 1920er Jahren.

Mundblashütten für Glasscheiben entwickelten sich noch im Zeitalter der Industrialisierung zu großer Blüte und konnten sich in Ostbayern bis Mitte der 1920er Jahre halten. Dies hatte verschiedene Gründe: Zunächst waren die alten handwerklich versierten böhmischen Glasmacherdynastien in regionaler Nachbarschaft Ostbayerns, sie mussten nur angeworben werden und kamen als eine Art frühe Gastarbeiter mit K.u.K.-Pass in den Bayerischen und Oberpfälzer Wald. In der ostbayerischen Oberpfalz selbst gab es seit alters her eine frühindustriell-wirtschaftlich tätige Schicht, die als Unternehmer auftrat: die zum Teil adeligen Hammerherren, die in sogenannten Eisenhämmern auf vormoderne Weise Roheisen produzierten. Dieses Gewerbe kam mit der Industrialisierung unter Druck, sodass sich diese kleinindustriell tätigen Land-Magnaten nach einer neuen Erwerbsquelle umsehen mussten. An den zahlreichen Wasserläufen der Oberpfalz wurden anstelle der mit Wasserkraft betriebenen Eisenhämmer Glasschleifen und Glaspolierwerke eingerichtet. Dort wurde das von den Glashütten aus Böhmen produzierte Glas auf dem Weg zum Absatzzentrum Nürnberg veredelt. Die in der Glasveredelung tätigen Hammerherren zogen vereinzelt auch Glashütten nach, wie etwa die Familie von Grafenstein im Hammergut Röthenbach mit der Errichtung einer großen Glashütte im Jahr 1873, die auf den Bau einer Bahnstrecke von Weiden nach Nürnberg und frühen Experimenten mit Glasperlproduktion im alten Hammerwerksgebäude folgte. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes hatte es ermöglicht, Glashütten auch etwas außerhalb der traditionellen abgelegenen Hüttenstandorten der tiefen Wälder des Bayerischen und Böhmischen Walds zu errichten, die neuen Hütten rückten nach Nordwesten in die nördliche Oberpfalz an die Bahnlinien heran, wo sie die Rohstoffe und Brennstoffe heranfahren und die Produkte zum Transport geben konnten. Problem war zunächst gewesen, dass die Wälder, die das Brennmaterial hätten liefern können, für die vormoderne Eisenindustrie weitgehend gerodet worden waren. Die Brennstofffrage wurde mit lokal in der Oberpfalz entwickelten Torfbrennöfen für Glashütten gelöst, so auch in Röthenbach. Später wurde der im Moor um Röthenbach gewonnene Torf durch aus Böhmen mit der Bahn herangefahrene Braunkohle ersetzt. Sodann braucht man für die Herstellung von Glas auch noch Sand, der in der Oberpfalz in großen Sandgruben gefördert wurde.

Der Sand wurde im Hochofen eingeschmolzen und die Glasmacher formten aus der Schmelzmasse durch Einblasen von Luft mittels Glasmacherpfeifen zunächst geschlossene Zylinder. Dies war eine unglaublich schweißtreibende Arbeit, nicht nur durch Mobilisieren der Lungenkraft, sondern auch durch das Stemmen der schweren länglichen Glaszylinder und der großen Hitze am Ofen. Der Flüssigkeitsverlust wurde seit alters her mit Bierkonsum erträglich gemacht, der aber nicht unbedingt zur Trunkenheit führte. In Röthenbach kam das Bier dazu von der Gutsbrauerei des Hüttenherrn.

Die 1905 geborene Glasmacherstochter Anna Hofmann erinnerte sich, wie sie einmal zusammen mit dem Pfarrer die Arbeit in der Hütte beobachtete. „Siehst, Nani“, sagte der Pfarrer, „diese Menschen kommen einmal alle in den Himmel!“ „Warum?“ „Weil die das Fegefeuer schon auf dieser Welt haben.“

Von den durch Aufblasen geformten Zylindern wurde die Kappe abgesprengt, sie wurden an einer Seite aufgeschnitten und plattgewalzt (gestreckt). Anschließend kamen die entstandenen Scheiben (1,3 *1,5 m) in die Glasschleifen, mit Wasserkraft betriebene Werke, wo durch Bewegung auf Steinplatten und Zugabe von Schleifsand die Unebenheiten beseitigt wurden. Dabei wurden die Glassscheiben undurchsichtig. Mit Bereiben durch Polierrot wurden sie in ebenfalls mit Wasserkraft betriebenen Polierwerken wieder durchsichtig gemacht. Die Polierarbeiter wurden durch den Polierstaub selbst rot und gingen als Rothäute durchs Leben. Das entstandene Glas kam nach Nürnberg-Fürth, wo sich zahlreiche Spiegelmacher und -Händler niedergelassen hatten. Diese waren oft Juden, weshalb damals auch – nicht abwertend – von den „Fürther Spiegeljuden“ gesprochen wurde. Die Glasscheiben wurden durch Belegen mit Quecksilber oder Silber zu Spiegeln, gerahmt und häufig exportiert.

Zwischen 1878 bis 1890 gab es eine Vervierfachung des Fürther Spiegelexports in die USA. Mancher Saloonspiegel, also diejenigen Einrichtungsgegenstände, die in keinem Westernfilm fehlen dürfen und meist bei einer Schlägerei zu Bruch gehen, könnte in Bayern produziert worden sein. Dieser Exporterfolg führte zu einem großen Boom neuentstehender Spiegelglashütten mit Mundblasverfahren. Die Röthenbacher Glashütte wurde immer wieder ausgebaut und modernisiert. Die Bevölkerung des Ortes wuchs zwischen 1864 von 121 auf 260 im Jahr 1910. Die Hütte und ihre Tochterbetriebe hatte zu ihren besten Zeiten rund 50 Beschäftigte, auch Filialbetriebe zur Veredelung in anderen Ortschaften. Glasmacher konnten als nach Stückzahlen bezahlte Facharbeiter einen gewissen Wohlstand entwickeln, der auch zum Neid der bitterarmen bäuerlichen Bevölkerung führen konnte. Im Glasarbeiterwirtshaus wurden Feste gefeiert, Zither gespielt, mit benachbarten Glasmacherclans eigene Feste gefeiert, getanzt und gesungen. Glasmacher galten als weltläufiger, selbstbewusster und unabhängiger als Gutsarbeiter, auch wenn sie mal finanziell auf dem Trockenen saßen, wenn der Hüttenofen wegen Absatzflaute nicht rauchte. „Die Glasmacherleut´sind gar lustige Herrn, und wenn Sie mal kein Geld haben, klimpern sie mit den Scherb`n“, so ging ein Spruch in der Oberpfalz. Die Bauern verfolgten hier und da auch die Fabrikherrn der Glas- und Porzellanindustrie mit Missgunst, weil sie ihnen mit besseren Arbeitskonditionen Arbeitskräfte abwerben konnten. Die Arbeiter wohnten in für damalige ländliche Verhältnisse recht großzügigen Werkswohnungen.

Hermann von Grafenstein sen. (1840 - 1902)

Hermann von Grafenstein sen. (1840 – 1902)

Der rührige Hüttengründer Hermann v. Grafenstein sen., mein Ur-Ur-Großvater, konnte mit seinen Aktivitäten in der Glasindustrie trotz aller Schwierigkeiten seinen Familienzweig auf ein Gleis zu neuem Wohlstand setzen, den seinem Sohn Hermann jun. (1874 – 1955) gelang es, mit der Glashütte als Prestigebetrieb im Rücken, in die Kaolinwerksbesitzerfamilie Rasel einzuheiraten und mit Kapital seines Schwiegervaters Eduard Rasel sein rustikales Hammerschlösschen umfassend zu sanieren und zu modernisieren, sodass es im Innern im Jugendstil allen Wohnkomfort eines großbürgerlichen Haushalts der Jahrhundertwende bot. Hermann v. Grafenstein jun. war den Zeitzeugen als überaus leutselige Persönlichkeit in Erinnerung, der wie viele Landadelige die Jagd schätzte und als sozial eingestellter Patron seine lokale Beliebtheit wahren konnte. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg der Oberpfälzer Hammerherren durch das Umsatteln auf eine andere noch teilweise mit vormodernen Methoden arbeitenden Branche konnte jedoch nicht für immer gutgehen. Mit Beginn der 1890er zogen die USA  Zollschutz gegen die Importe hoch, sodass diese Einnahmequelle langsam versiegte. Die ebenfalls durch staatliche Maßnahmen geschützte bayerische Mundblashütten-Branche rettete sich noch einige Zeit mit massiven Marktabsprachen über die Runden. In den 1920er kam es dann zum Sterben dieser kleinen Mundblashütten, aufgrund von Konzentrationsprozessen und der Durchsetzung von mechanischen Verfahren, insbesondere durch die Verbreitung des Ziehglasverfahrens. Der Ofen in der Röthenbachhütte wurde 1928 endgültig „kaltgeschürt“. Eine jahrhundertealte Glasmachertradition ging damit im Flachglasbereich zu Ende, auch den Röthenbacher Hüttenbaronen ihr letztes industrielles Standbein unaufhaltbar verloren. Später wurde auch die Landwirtschaft auf den oft sandigen und steinigen Böden für unrentabel erklärt und die Nutzflächen an den Staatsforst verkauft. Das landwirtschaftliche Gut hat sich hier über die Jahrhunderte nur als Zweitbetrieb zur Eisen,- dann zur Glasindustrie halten können. In einem alten Hüttenstandort wie Röthenbach findet man heute noch die alten vom Menschen angestauten Weiher, die zur Energieversorgung mit Wasserkraft genutzt wurden, hier und da noch faszinierend grünbläulich schimmernde Rohglasklumpen, ein altes denkmalgeschütztes Arbeiterhaus und das nach über 80 Jahren immer noch rot gefärbte Polierwerksgebäude, das im Grundriss auf das alte Hammerwerk zurückgeht. Die Hütte selbst ist leider nach dem 2. Weltkrieg abgetragen worden.

weitere Fotos: http://www.flickr.com/photos/vongrafenstein/sets/72157625637479152/

weiterführende Lektüre: Burkhard v. Grafenstein: Die Spiegelglasindustrie in Röthenbach, in: Oberpfälzer Heimat, Bd. 51, Pressath: Verlag Bodner, 2006. Kann hier bestellt werden.