Ich habe ja hier schon viel zu meinem einstigen Heimatort Röthenbach i.d. Oberpfalz geschrieben. Nun jährt sich der Teileinsturz des dortigen Hammerschlosses, das über 200 Jahre bis 2007 im Besitz meiner Familie war, zum zehnten Male. Seitdem wird das herrschaftliche Gebäude durch eine ungewöhnliche Holzkonstruktion gestützt und durch einen Eisenring zusammengehalten. Der seinerzeitige Investor, der Hotelier und Abrissunternehmer Raymond Grassick, war durch den Einsturz, der ihn fast das Leben kostete, traumatisiert, verzettelte sich in Rechtsstreitigkeiten und veräußerte das Anwesen wieder weiter. In seinem jetzigen Zustand ist das Anwesen in der Tat nichts mehr zum „Selber-Herrichten“ für Amateure.
Viele Menschen, nicht nur ich, haben sich wohl schon den Kopf zerbrochen, was aus dem alten Röthenbacher Ortskern, der im wesentlichen aus dem Ende der 1960er Jahre stillgelegten Gutshof mit Nebengebäuden und Arbeiterhäusern besteht, noch anderes werden könnte als eine Denkmalschutz-Dystopie und einer der größten und traurigsten Lost Places Bayerns. Einem Bericht im Onetz ist zu entnehmen, dass der bayerische Staat mittlerweile eine Task Force zur Rettung Alt-Röthenbachs gebildet hat und es gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen dem derzeitigen Eigentümer großer Teile des „Geisterdorfs“, der BAUART GmbH, und der Denkmalschutzbehörde gibt. Das spricht nicht für Aufbruchsstimmung. Offenbar hat die Coronakrise dem Investor aus Amberg, der den Gutshof 2018 erwarb und an sich ein Profi in der Sanierung denkmalgeschützter Gebäude ist, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ende des Jahres soll vielleicht mehr in Erfahrung zu bringen sein, lässt das schweigsame Unternehmen gegenüber der Presse verlauten. Derweil verfallen die denkmalgeschützten Gebäude weiter vor sich hin, insbesondere das hintere Dach der Alten Brauerei ist eingestürzt, regelrecht heruntergefegt worden, das Brauerei-Inventar ist der Witterung schutzlos ausgeliefert.
Der alte Röthenbacher Ortskern jenseits der modernen Eigenheimsiedlung am Mühlberg ist eigentlich ein verfallendes authentisches Freilandmuseum mit unterschiedlichen Zeugnissen historischer Betriebsformen, es sind insgesamt zu nennen: ein Glasarbeiterhaus, ein ehemaliges Glaspolierwerk, Reste eines Hammerwerks, große Zentralstallungen (Ökonomiegebäude), eine Scheune, Reste einer Spiritusbrennerei und eines Schlachthauses, Ruinenreste einer Mühle, das Brauereigebäude von 1843 und eben das barocke Schloss von 1678 mit Schlosskapelle, das auf archäologischen Resten von Vorgängerbauten errichtet wurde. Zu Alt-Röthenbach gehören auch das alte Gasthaus Bauer und die zum Wohnhaus umgebaute ehemalige Glasschleife etwas abseits.
Könnte man einige Gebäude retten, indem man sie abträgt und in einem Freilandmuseum wieder aufbaut? Das wäre unvereinbar mit dem Gedanken des Ensembleschutzes.
Abgesehen vom recht kompakten, traumhaft in einem verwilderten Park gelegenen Schloss, das man als gehobenes Wohnhaus oder Veranstaltungskulisse durchaus wieder nutzen könnte, waren Weiternutzungskonzepte für die übrigen aus der Zeit gefallenen Industrie- und Landwirtschaftsgebäude Röthenbachs stets großen Bedenken ausgesetzt. Wer will schon in einen Ortsteil ziehen, in dem alles verfällt? Wer will aufs Land ziehen, um in einem Arbeiterhaus zu wohnen? Wie soll man in einer derart entlegenen Gegend rentabel eine Gastronomie aufziehen? Wer braucht Stallungen für Ländereien, die schon vor Jahrzehnten an den Staatsforst veräußert wurden? Es müsste ein Konzept aus einem Guss für das ganze Areal her, um Röthenbach durch konzertierten Abriss und Sanierung von Gebäuden von jeglichem Schandfleck-Geruch zu befreien. Grundsätzlich kommen zwei in einem Spannungsverhältnis stehende Nutzungskonzepte für den Gutshof in Frage: Ruhe oder Remmidemmi – Wohnsitz für eine vermögende Person mit oder ohne Familie oder etwa eine gastronomische Nutzung mit Schlossgaststätte, Heimatmuseum, Tourismus mit Ferienwohnungen, Veranstaltungen wie Hochzeiten, Märkten, Konzerten, Festivals. Ideen lassen sich genug generieren, auch gewerbliche Wiederbelebung war schon angedacht worden. In meiner Jugend, als der Verfall noch nicht so weit fortgeschritten war, zogen die alten Gebäude auch Künstler an, vor allem Musiker, um dort zu proben, und eine regionale Partyszene.
Ich habe über 10 Jahre den Verfall des Ortsteils auch fotografisch nachgezeichnet. Auffallend ist, dass die Gebäude nicht nur teilweise einzustürzen beginnen, sondern auch von der Natur so umwuchert werden, dass sie gar nicht mehr sichtbar sind, als wollten Bäume und Sträucher einen gnädigen Schleier über die entstellten Gemäuer ziehen. Mancher Beobachter fühlt sich an das Märchen von Dornröschen erinnert, dessen Schlaf von der Natur gesichert wird: Allerdings schlafen die alten Gebäude in Röthenbach nicht, sie sterben, und es schläft auch niemand in ihnen, tote Fenster starren einem entgegen. Verwunschen ist die Landschaft mit ihren endlosen Wäldern und dunklen Weihern und verträumt zugleich, unendlich ruhig und friedlich holt sie sich das aufgegebene Menschenwerk zurück.