„Gefährliche Bürger“ – Gibt es einen Rechtsruck?

Seit die Wirtschafts- und Finanzkrise vor einigen Jahren über uns hereingebrochen ist, hat sich das gesellschaftliche Klima unbestreitbar verschärft, der Ton ist rau geworden. Schon früh machten sich Zukunftsforscher Gedanken, wohin eine solche Krise politisch führen muss, kamen aber zu unterschiedlichen Szenarien. Zunächst wurden Stimmen laut, die einen Linkstrend beklagten, andere konstatieren, dass ich in Deutschland alles in der Mitte drängelt, die bald wegen Überfüllung geschlossen werden muss, was zur Folge habe, dass sich die Programme der in der Mitte versammelten Parteien kaum noch unterschieden. Das konservativ-liberale Autorenduo Liane Bednarz und Christoph Giesa bestreitet beides und behauptet stattdessen, es gebe mittlerweile einen Rechtsruck.

Fest machen sie dies vor allem am Erstarken der Partei Alternative für Deutschland, den Pegida-Demonstrationen und einigen publizistischen Großerfolgen von Autoren, die sie dem neurechten Spektrum zuordnen, so vor allem dem biologisch argumentierenden Thilo Sarrazin und dem unflätigen Akif Pirincci. Das gibt auch zu verstehen, dass ihr neuer Buchtitel „Gefährliche Bürger – die neue Rechte greift nach der Mitte“ weit zu verstehen ist, es wird nicht lediglich die spezifische, groß geschriebene Neue Rechte abgehandelt, die im Gefolge von Alain de Benoist den Ethnopluralismus vertritt, sondern eine weites intellektuelles und politisches durchaus heterogenes Spektrum, das die Autoren als „neue Rechte“ zusammenfassen, worüber sich mancher konservative, libertäre oder einfach nur reißerische Autor nicht freuen wird, der darunter subsumiert und angeprangert wird. NPD und Skinheadszene bleiben allerdings außen vor, wohl weil der schlechte Zustand der beiden letztgenannten die These vom Rechtsruck nicht stützt und die Autoren weniger die Unterschicht als kritisch das zu wenig nach rechts abgrenzende Bürgertum unter die Lupe nehmen, was auf der Linken auf Beifall treffen muss.

Bednarz und Giesa sehen keine Machtübernahme der politischen Rechten unmittelbar bevorstehen, halten die schleichende Entwicklung aber für besorgniserregend. Sie sehen eine Verschwörung von Rechtsintellektuellen am Werk, die sich, linke Vorbilder vor Augen, anschicken, die Diskurshoheit und kulturelle Hegemonie im vorpolitischen Raum zu erobern. Im Schlepptau dieser geistigen Brandstifter flute ein rechter Mob die Kommentarspalten des Online-Journalismus, griffen Hass, Vorurteile und Ressentiment, Putinverehrung, Antiamerikanismus und Verschwörungstheorien um sich. Die offene Gesellschaft, Liberalismus und Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit seien bedroht. Auch ein Verlust an Gemeinsinn wird beklagt.

Das flott und routiniert geschriebene Buch gewinnt dadurch eine gewisse geistige Tiefe, dass die Autoren auch Parallelen zur sogenannten „Konservativen Revolution“ der Rechtsintellektuellen der Weimarer Republik ziehen, womit sie unterschwellig dann doch Ängste vor einem „Vierten Reich“ bedienen, weil damals das Dritte Reich (übrigens ein Begriff der Konservativen Revolution) dem Angriff rechter Schriftsteller und Philosophen auf die Weimarer Republik nachfolgte. Wo wird das Buch noch intellektuell interessant? Bednarz/Giesa machen sich Gedanken, wie gegen die Rechtsintellektuellen anargumentiert werden könnte, und wo rote Linien zu ziehen sind, an denen die Diskussion beendet ist. Sie vertreten als Grundlage dafür, die in politisch korrekten Kreisen geläufige Ansicht, wonach argumentativ darauf hinzusteuern sei, dass Hass gegen Bevölkerungsgruppen nichts mit dem Verhalten der gehassten Gruppe/Minderheit zu tun habe und die Ursache beim Hassenden zu suchen sei, denn „Hass braucht keine Begründung.“ Spinnt man diesen Gedanken fort, dann hätte der Judenhass nach dem Ersten Weltkrieg nichts mit den Auftreten von Kommunisten jüdischer Herkunft zu tun gehabt, der Hass auf die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, wie ihn zB die Sudetendeutschen zu spüren bekamen,  nichts mit dem Untaten des Nazi-Regimes und der Hass der auf Muslime nach der Jahrtausendwende nichts mit dem islamistischen Terrorismus.

Auch von anderen übernommen wird die Ansicht, wonach die Übernahme der Montagsdemonstrations-Parole „Wir sind das Volk“ durch Pegida eine antidemokratische Perversion derselben sei. Diese Parole in der Demokratie zu skandieren, bedeute nämlich, die übrigen Bevölkerungsteile aus dem Volk auszuschließen. Aber was war in der DDR? Mussten die treuen SED-Anhänger, die hinter dem Ofen sitzen blieben, sich bei dieser Parole nicht auch aus dem Volk ausgeschlossen fühlen? Man sieht, dass Autorenduo regt dazu an, sich Gedanken zu machen. Man darf hoffen, dass etwas Diskussion im Lande in Gang kommt, denn solange diskutiert wird, ist die Demokratie noch nicht tot.

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